Das Paljulehekiri-Muster ist nicht sehr schwierig, es braucht aber doch etwas Konzentration. Zum Fernsehen ist es für mich icht so geeignet, da sind die Lichtverhältnisse auch zu schlecht. Am liebsten arbeite ich daher am Schal, wenn ich unterwegs bin. Da ich öfter Zug fahre, liegen immer ein paar Reihen drin, sei es eine halbe Stunde nach Zürich (3/4 des Rapports pro Weg), ein Ausflug nach Bern (3 Rapporte insgesamt), ins Tessin (Rapporte ohne Ende) oder die Fahrt nach St. Gallen (2 Rapporte hin und zurück). Pro Rapport gewinne ich etwa 5 cm.
Es lohnt sich also, die Strickarbeit im Zug mitzuführen! Das ist mir ja nicht erst seit eben klar. Vor vier Jahren und zwei Tagen habe ich der Zürichsee-Zeitung folgende Kolumne in der Rubrik Notabene veröffentlicht:
Die Kluge strickt im Zuge
Sarah Gaffuri
Ich fahre viel, viel Zug. Und ich bekomme von meinen Mitreisenden viel, viel mit, weil ich stricke. Das hat nämlich zwei angenehme Nebeneffekte: Man hat, sofern man will, die Ohren frei für die ahnungslosen Mitmenschen. Und man fällt nicht auf: Seit ich auch in der Öffentlichkeit stricke, merke ich, wie ich nach wenigen Sekunden schon eins werde mit dem biederen Muster der Sitzbezüge. Erst gucken sie noch, die Mitreisenden; dann beginnen sie untereinander ihr wahres Ich herauszukehren. Und mein wahres Ich sitzt mittendrin.
Kürzlich auf der Strecke Rapperswil - St. Gallen, Ort: zweite Klasse, Nähe Kaffeeautomat. Protagonisten: zwei Lehrlinge, ein dickliches Mädchen mit Piercings, ein möglicherweise um ein Jahr älterer Junge, Typ zu schnell gewachsener Stürchel. Lautstärke: laut. Thema: Diverses, unter anderem Anlehre («Da wür mi im Fall u huere aaschiisse, waisch, muesch voll chrampfe und hesch nocher gliich nüt»), Natel und Musik. Er: «Du, aber ich höre im Fall manchmal nicht nur Hip-Hop, sondern auch Hansi Hinterseer und so.» Sie, offenbar willig, ihm in jedwedem Punkt zuzustimmen: «Ja, ich weiss, eine Bürokollegin von mir hört den auch.» Er, realisierend, dass sie die Ironie nicht bemerkt hat: «Nein, spinnsch, so was hör ich sicher nicht.» Sie, den Fehler erkennend und sofort abschwörend: «Ja, ich kenn den noch nicht mal. Ich habe den Namen Hinterseer noch nie gehört.» Er, jetzt völlig gemein: «Was, du kennst Hansi Hinterseer nicht? Das ist die volle Bildungslücke.» Ganzer Wagen: schallendes Gelächter.
Strecke St. Gallen - Zürich, Ort: zweite Klasse, dort, wos grosse Tische hat. Protagonisten: drei Jungs, irgendwo zwischen 12 und 16 Jahre alt. Thema: ein neuer Pulli und der Schnupf. Der grösste oder älteste tröstet einen der kleinen, der einen viel zu grossen Pulli gekauft hat: «Wachsisch sicher no drii.» Dann zücken sie die Schnupfdose und ziehen sich das Zeugs wie Koks durch die Nase. Der Schnupf wird auf das Tischli gestreut, mit einer Schülerkarte zu Spuren gelegt und dann mit einem Röhrchen abgesaugt. Ich überlege mir, ob ich sie darauf aufmerksam machen soll, dass viele, viele Leute schon ihre Bisifinger auf dem Tischchen zwischengelagert haben.
Strecke Bern-Thun, Ort: zweite Klasse, Ruhewagen. Protagonisten: eine übermotivierte Mitdreissigerin, zwei Damen 75 Plus. Thema: Ob man in einem Ruhewagen ruhig sein muss. Die Damen, eben erst zugestiegen, tendieren zur Ruhe, höchstens Flüsterton. Die Mitdreissigerin meint begeistert, man könne ganz normal plaudern, solange man nicht sehr laut schwatze. Kurz darauf marschiert ein Mann strammen Schrittes ans Wagenende und staucht eine (andere) laut parlierende Dame zusammen. Die drei neben mir unterhalten sich darauf laut und spöttisch über gestresste Manager, die sich so daneben aufführen im Ruheabteil. Und dann reden sie über mich. «Jaja, Stricken ist wieder in», sagt die Mitdreissigerin unter anderem. Hallo Leute, ich stricke nicht mit den Ohren. Pssscht.
"ZSZ" vom 24. 02. 2009
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